Die textile Installation für die Ehrenhalle im Museum für Hamburgische Geschichte beleuchtet Themen die in diesem Hause nicht, einseitig oder idealisiert dargestellt werden.

Inhaltlich geht es um die Rolle Hamburgs im Kolonialismus, um Frauen in Hamburg sowie das Thema Rassismus. Formal greift die Installation die Säulenarchitektur der Ehrenhalle auf.

Material: Stoff, Stickgarn, Metallringe

Textile Installation 2022

„Der Schatten ist alles das, was du auch bist, aber auf keinen Fall sein willst.”

C.G. Jung

Der Beschluss zur Gründung des Museums für Hamburgische Geschichte fiel zu Beginn des Jahres 1908 in eine Zeit rasanter Prosperität in Deutschland. Damit einher ging das Bewusstsein der nationalen Überlegenheit gegenüber anderen Ländern und Kulturen. Diese Haltung war eine der Grundlagen für den daraus entstehenden Deutschen Kolonialismus. Seine Auswirkung zeigt sich in der Destabilisierung und Zerstörung funktionierender Strukturen im gesellschaftlichen Zusammenleben, der Politik, der Wirtschaft, der Ökologie und der Kultur. Der Postkolonialismus, die patriarchale Einstellung gegenüber Frauen und Minderheiten, sowie der Rassismus, sind in unserer Gesellschaft bis heute sichtbar und Ausdruck dieser Haltung.

Das Museum für Hamburgische Geschichte wurde als Tageslicht-Museum realisiert. Hier trifft Licht auf Gegenstände der Hamburgischen Geschichte.

„Wo Licht ist, ist auch Schatten.“ sagt der Volksmund. Und meint: Wo auf der einen Seite Reichtum und Macht existiert, gibt es auf der anderen Seite Armut, Gewalt und Unterdrückung.

Ich befasste mich mit den „Schattenseiten“ und beschränkte mich hinsichtlich meiner Installation auf die Themen: Patriarchale Gewalt, Kolonialismus und Rassismus.

Die Ehrenhalle wird von Säulen getragen, einem typischen Stilelement der Wilhelminischen Architektur. Erste von Menschenhand geschaffene Säulen finden sich in Tempelbauten und an Königssitzen. Sie symbolisieren die Verbindung zwischen Himmel und Erde, Menschen und Gottheiten. Gleichfalls gelten Säulen als Symbol für Reichtum und Macht und als „tragende Elemente“ in der Architektur. Menschen werden „Säulen der Gesellschaft“ genannt, wenn sie aufgrund ihrer Taten als Vorbild dienen. In meiner Installation greife ich das Bild der „tragenden Säule“ auf.

Anders als die in der Ehrenhalle vorhandenen Tragelemente bestehen die von mir gefertigten Säulen nicht aus Stein, sondern aus weichem Material. Sie sind „offen“ und auch von innen begehbar. Sie zeigen sowohl eine innere als auch äußere Oberfläche. Die Farbgebung ist nicht willkürlich gewählt. Die dunkle Farbe des Fonds steht für den Schatten, das helle Stickgarn für das Licht. Als Vorlage der handgestickten Szenen dienten historische Fotos aus Hamburg und öffentlich zugängliche Texte. Sie sind von der Innenseite der Säulen klar lesbar, von der Rückseite erscheinen sie kryptisch und umgekehrt.

Die Installation lebt von der Spannung zwischen innen und außen, von Licht und Schatten, erkennbaren und nicht auf Anhieb erkennbaren Skizzen und Zitaten.

Die erste der drei Säulen des Ensembles behandelt das Thema „Frauen in Hamburg“.
Sie wird an einem Platz gezeigt, wo weißen, reichen und mächtigen Hamburgern sowie anderen bedeutenden Bürgern des Wilhelminischen Reiches ein Denkmal gesetzt wurde. Die Wände der Ehrenhalle zeigen Reliefs Hamburger Ehrenbürger.

Die Hammonia steht in meiner Installation auf einem wackeligem Sockel. Sie ist eine idealisierte Frauengestalt und in unserer Stadt mehrfach präsent. So auch als Brunnenfigur am Hansaplatz in St. Georg. In der Datenbank Hamburger Frauenbiografien (angelegt von Rita Bake) finden sich u.a. die Namen realer Frauen, die in St. Georg gelebt und sich in Hamburg einen Namen gemacht haben. Die Namen dieser Frauen habe ich an der Innenseite der Säule sichtbar gemacht, um sie aus dem „Schatten des öffentlichen Bewusstseins“ zu heben.

Die zweite Säule behandelt das Bild der Stadt Hamburg als „Tor zur Welt“. Dieses Bild will den Eindruck von Offenheit, Toleranz und Aufgeschlossenheit der Hansestadt vermitteln. Verbunden mit dem Namen unserer Stadt existiert eine weitere Wahrnehmungsebene. Dabei handelt es sich um die Ausbeutung, Versklavung und Zerstörung fremder Gesellschaften auf fernen Kontinenten. Der Hamburger Baakenhafen, den ich nach einem historischen Foto gestickt habe, spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. So hatte die Adolph Woermann Linie eine Monopolstellung auf der Ost Afrika Linie. Als Kolonialrat beeinflusste Woermann die Politik. Nach heutigem Sprachgebrauch war Woermann somit Lobbyist in eigener Sache.
Die mit Handelswaren beladenen Schiffe starteten im Baakenhafen ihre Reise nach Afrika. Dort fand der Tausch der Ware gegen Zwangsarbeiter*innen statt. Die Zwangsarbeiter*innen wurden nach Süd- und Mittelamerika verschifft und dort als Plantagenarbeiter*innen missbraucht. Die Plantagenerzeugnisse wiederum wurden zum Teil zur Weiterverarbeitung nach Hamburg gebracht. Die Zwangsarbeiter*innen des Hamburger Kaufmanns Heinrich Carl von Schimmelmann wurden wie Vieh gebrandmarkt. Um den „Besitz“ zu kennzeichnen, wurde ihnen ein „S“, das sich in einem stilisierten Herz befand, in die Brusthaut gebrannt.

Die hier ansässige Reederei Blohm & Voss betrieb eine Kriegswerft. Je weiter sich der Dreieckshandel ausdehnte, umso mehr nahm seitens der Reeder und Kaufleute der Wunsch nach militärischem Schutz ihrer Flotte zu. Die Kriegsmarine bot diesen Schutz und begleitete die zivilen Schiffe auf dem Weg in die Kolonien und von dort zurück. Gleichzeitig zerschlug das deutsche Militär aufkommende Aufstände in den Kolonien.

Die dritte Säule thematisiert den Rassismus am Beispiel der sogenannten „Völkerschauen“ in Hagenbecks Tierpark. Unser heutiges Bild anderer Ethnien und People of Color ist durch diese Schauen geprägt. Ich habe mich in der Installation für die Darstellung einer Gruppe von Somaliern entschieden, die Carl Hagenbeck „ausgestellt“ hat.

Zwischen den Jahren 1874 und 1932 fanden allein in Hagenbecks Tierpark etwa 70 dieser „Völkerschauen“ statt. Vermutlich waren jeweils 200 bis 400 Menschen an den Schauen beteiligt. Carl Hagenbeck gilt als Initiator und Vorreiter der „Völkerschauen“ im deutschsprachigen Raum. Die Schauen sollten den Besucher*innen die Wildheit und das unzivilisierte Leben der vorgestellten Individuen zeigen. Carl Hagenbeck und etliche seiner Zeitgenoss*innen fühlten sich aufgefordert, die „Wilden“ zu zivilisieren. Kirchliche Organisationen teilten diese Einschätzung und rechtfertigten so ihre Missionstätigkeit. Alle Nichtchristen sollten zum rechten Glauben, dem Christentum, bekehrt werden.

Die Kolonialisierung und die damit einhergehende Unterwerfung, Ausbeutung und Versklavung ganzer Kontinente war ein Verbrechen und entsprang dem Größenwahn hiesiger Herrscher. Sie überzeugten die eigene Nation von der Notwendigkeit ihrer Maßnahmen und fanden Zuspruch für ihre Vision.

Die Installation wird während der Ausstellung im Museum von mir erweitert.

Die Säulen der Gesellschaft 2022 - Anja Matzke
Anja Matzke Die Säulen der Gesellschaft 2022 Textile Installation im Museum für Hamburgische Geschichte
Museum für Hamburgische Geschichte Anja Matzke